DUELL IM SUPERMARKT

 

Duell„Sammeln Sie Treueherzen?“

„Sehe ich aus, wie jemand, der Treueherzen sammelt, die Rückseite bespeichelt und sie in ein Album klebt?“

Die dürre Kassiererin mit der feuerrot gefärbten Matte guckt mich prüfend an. Sie balanciert ihren Körper elegant auf dem knarrenden Drehstuhl und schiebt sich ein Stückchen näher an mich heran.

„Neeee, eigentlich nich. Aber vielleich interessiert se unsere Pfannenaktion?“

„Ich habe keinen Herd.“

Sie guckt mich ungläubig an.

„Ach neee, Sie sind mir ja eener…die Tiersammelbilder sind dann ooch nüscht für sie, wa?“

„Doch, die nehm ich, sogar sehr gerne.“

„Ach Quatsch, neee, wirklich?“

Ja, da starrt sie mich mit ihren aufgerissenen Monsterpupillen an – sie ahnt natürlich nichts von meinem großartigen Plan. Aus den Augenwinkeln habe ich längst die beiden Kinder beobachtet, die wie kleine Aasgeier von Kasse zu Kasse schwärmen, um die Tiersammelbildchen der Supermarkt-Kunden abzugreifen. Es ist die nackte Gier,  die sie in Hektik versetzt. Ganz artig und brav kreuzen sie die Arme hinter ihren Rücken und setzen für die Erwachsenen einen betont treu-lieben Blick auf. Es ist ein beschämend billiges Schauspiel. Aber es funktionert.

„Dürfen wir die Bilder haben, bitte, bitteeee…?“

Einen Moment später ziehen sie sich in eine Ecke zurück, fetzen die Packungen hämisch lachend auf und prüfen ihre Beute. Und schwupps, geht es weiter zur nächsten Kasse. Die gleiche Show noch mal. Immer wieder.

Die beiden Jungs sind vieleicht neun Jahre alt. Zwei  Prenzlauer Berg Rotzgören mit Designerschuhen und Hilfiger Pullis, die schon jetzt die komplexen Gesetze sozialer Erpressung durchschaut haben.

Und plötzlich stehen sie vor mir.

Das wird nicht leicht, Kinder. Gar nicht leicht.

„Können wir die Bilder da haben?“, der eine, etwas dicklichere der Beiden, fährt seinen speckigen Finger aus und zeigt auf die Bildchen. Ein „Bitte“ ist in seinem Vokabular plötzlich auch nicht mehr enthalten. Passt mir gar nicht.

„Die Bilder…“, der Neunjährige wiederholt seine Forderung und  klingt auf einmal  wie ein Pistolero  in einem Italo-Western.

Warum denn?“, frage ich.

Zwei irritierte Gesichter.

„Na, weil wir die doch sammeln…“, rhetorisch ein eher unterdurchschnittlicher Argumentationsversuch. Kommt bei mir nicht gut an.

„Die könnt ihr euch erarbeiten. Einfach so gibt es die nicht.“

Die beiden zuppeln an ihren teuren Pullis herum und blicken sich ratlos an.

Ich wedel mit dem Packen.

„Die Einkaufstüten zum Auto tragen. Sauber einräumen, und dann gibts die Bildchen.“

Die Kassiererin lacht laut.

„Jenau… nich immer hier rumbetteln. Ich muss ooch den janzen Tach hier buckeln und ick krich ooch nüscht umsonst.“

Die Kids sind genervt, zucken kurz mit den Schultern und akzeptieren den Deal.  Sie greifen nach meinen Tüten, da betritt SIE den Supermarkt. Es ist der Auftritt einer echten Prenzlauer Berg Mutti. Sie gleitet mit ihren doppelseitig gebunden Gesundheitsschuhen in den Supermarkt, unter ihrem Arm eine zusammengerollte Yogamatte. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man auch noch ein paar Karamellkekskrümel in ihren Mundwinkeln. Ganz sicher die Überbleibsel der mehrstündigen Nachmittags-Plausch-Arie mit gleichgesinnten Freundinnen. Sie ist fassungslos.

„Nein, also, nein. Das kommt gar nicht in Frage, dass meine Kinder hier Ihre Tüten tragen. Was fällt Ihnen denn ein?“

„Wieso? Wir haben einen Deal. Tierbildchen gegen Tüten schleppen. Was gibt es da nicht zu verstehen?“

Ihre fusseligen Haare wirken vor Empörung wie statisch aufgeladen.

„Na hören Sie mal.  In was für einer Welt leben Sie denn?“

„Na, in einer marktwirtschaftlich orientierten. Genau wie Sie, dachte ich…“

Sie reißt ihrem Sohn die Bilder aus der Hand und reicht sie mir mit ihren spinnenartigen Fingern. In der gleichen Sekunde bricht ein kleiner Staudamm in den Augen des Jungen. Tränen kullern. Dazu noch ein asymmetrisch wirkendes Schluchzen, unterbrochen nur durch das schnappartige Luftholen dazwischen. Er kann nicht fassen, was sich da vor seinen Augen abspielt. Das Gesicht seines Bruders steht ebenfalls vor einer ordentlichen Tränendurchflutung. Die Mutter sieht es. Sie sucht krampfhaft nach einer Lösung. Sie beugt sich über das Rollband zur Kassiererin.

„Verkaufen Sie mir ein paar von den Bildern?“

„Kann ich nich machen. Da müssen se erst hier einkaufen. Je mehr se kaufen, desto mehr Bildchen jibts ooch. Der Herr da hat ja für siebzich Euro eingekauft.“

Von hinten brüllt ein genervter Brillenträger.

„Mann, jetzt halten Sie doch nicht den ganzen Laden hier auf.

„Genau. Ganz genau“, ruft aufgeregt eine schmallippige Rentnerin vom Ende der Schlange.

Die Mutter guckt erst die Kassiererin wütend an. Dann mich. Ein weiterer Blick auf ihre heulenden Kinder.  Dann wieder zu mir, diesmal gepaart mit einem Zähnefletschen. In ihrem Kopf greifen wohl Millionen kleiner Zahnrädchen ineinander, auf der Suche nach einer Lösung.

Die ganze Szene erinnert in ihrer Dramatik an das brennende Römische Reich.

Irgendwie finde ich es ganz spannend.

Das kleine Mädchen an der Kasse nebenan fällt mir erst jetzt auf. Sie hat auch ein paar der Bildchen in der Hand. Sie traut sich aber nicht zu fragen. Obwohl sie es doch so gerne möchte. Sie guckt nur aus großen Augen umher und zuppelt schüchtern an ihren Zöpfen herum. Ich nehme meine Tüten, wandere in Richtung Ausgang und drücke ihr den Bilderpacken in die Hand. Sie kann es gar nicht fassen.

„Ohhhh… die sind für mich? Die kann ich alle behalten…??? Echt?“

„Klar.“

Von hinten brüllt die verkekste Prenzlberg-Mutter, „was soll das denn jetzt? Die trägt die Tüten doch auch nicht.“

„Verzeihung, in was für einer Welt leben Sie denn?“

Als ich den Supermarkt verlasse, blicke ich noch einmal über meine Schulter. Eine tobende Mutter. Zwei heulende Jungs. Genervte Supermarkt-Kunden. Ein glückliches Mädchen und eine Kassiererin, die mir breit lächelnd zunickt und dabei ihren erhobenen Daumen in meine Richtung schwenkt, als hätte ich ein Fußballmatch gewonnen.

Ich richte meinen Stetson, überprüfe den Sitz meiner Waffe im Holster und reite auf meinem treuen Gaul in die Abendsonne.

Lief doch ganz gut, der Tag.

48 Antworten zu “DUELL IM SUPERMARKT

  1. Ken… reich mir die Patronen herüber.

  2. Herzerfrischend! 🙂

  3. Hab mir den Text noch einmal mit Ennio Morricone-Musik durchgelesen. Schön!

  4. ach ich find dich ja immer sympatischer

  5. Lachen am Nachmittag tut gut!
    Ich muss mich also nur mit Zöpfen neben der Kasse im Supermarkt stellen und bekomme dann Bildchen geschenkt?
    🙂 🙂 🙂

  6. Ach ist das Klasse. Probiere ich nächstens in Schleußig auch mal. Da wohnen nämlich die Leipziger Prenzlauer Berg Muttis. 😀 😀

    • Und statt Yoga-Matten haben sie was unterm Arm?

      • Muss ich das nächste Mal drauf achten. Bisher habe ich mich immer auf die Kinder orientiert, die mit Stöcken fuchteln oder mich mit schlammigen Händen beiseite schieben. Manchmal haben die auch irgendwas ehemals Essbares in der Hand, also die Kinder. Und überhaupt achte ich immer darauf, nicht umgerannt zu werden. Deshalb ist mir bis jetzt entgangen, was die Mütter unterm Arm tragen. Aber gleich neben dem Supermarkt ist so ein Wellness-Wohlfühl-Esoterik-Dingens, könnte also sein, dass es auch da Yoga-Matten sind 😉

      • Achte auch auf die Geschmacksrichtung der Kekskrümel-Überbleibsel in den Mundwinklen. Bei euch tippe ich auf Banane-Maracuja…

      • Mach ich. Du kannst ja mal in meinem Blog Starkmacher in die Suchmaske eingeben. EINMAL nämlich habe ich über meine Erfahrungen im Supermarkt gebloggt. Da gings aber nicht um Yoga-Matten 😉

  7. Sehr schöne Szene, ich musste sehr schmunzeln!

    • Ich gehe am Donnerstag wieder einkaufen. Stop. Jetzt gibt es auch noch Deutschlandbildchen. Stop. Ich berichte.Stop.

      • Hmm, im Nettoghetto, etwas nördlich des Prenzlbergs, gibt’s jetzt auch Treueklebchen . Dafür gibts Rabatt auf ein Besteck. So schöne Tierbilder haben die leider nicht.

      • Du kannst meine gerne alle haben. Ich hebe sie auf, packe sie in eine alte Zigarrenkiste und sende sie dir zum Jahresausklang. Das mache ich.

  8. Mal wieder eine Super-Story! Ich habe mich wieder schlapp gelacht. Das war das Lustigste,was ich bisher heute gelesen habe. So wird der Tag direkt fröhlicher!

  9. Sehr witzig :-). Am besten hat mir gefallen: „Sehe ich so aus, wie jemand, der ….“. Das probiere ich gleich morgen aus! Und ich wünsche mir wirklich einen Supermarkt, der mich nicht mit dem Blödsinn bombardiert, sondern einfach nett und kundenfreundlich ist. Ich brauche keine neuen Pfannen, Handtücher, Gläser, Koffer oder sonstigen Schrott!!!!!!!!!!!!! 😉

  10. Also das gibbet hier in Thüringen in der Rewe zwar nicht in dem Ausmaß, aber vorstellen kann ich es mir schon. Ziemlich witzig :3

    • Ich würde sogar davon ausgehen, dass Minderjährige bereits mafia-ähnliche Strukturen aufgebaut haben, um an die Bildchen zu kommen. Schlau, diese kleinen Teufel…;-)

  11. Herrlich 😀
    .
    .
    Ich habe heute übrigens auch Tierbildchen bekommen. Habe die Packung erst achtlos weggesteckt und erst im Seminar vorhin aufgemacht.
    …war u.a. ein Bild mit Glitzer drauf drin. Das behalt ich! *_*

  12. GROSSARTIG! Da wird Spaghetti-Western-Geschichte neu geschrieben. Aus „Für eine Handvoll Dollar“: Sagt der Zimmermann …ähhh die Kassiererin zu Joe (Clint Eastwood): „Du hast mein Geschäft heute ganz schön belebt. Es wurde auch höchste Zeit, dass mit den Brüdern kurzen Prozess gemacht wird. Aber allein gegen die ganze Bande… irgendwie bist du nicht ganz dicht!“.

  13. Großartig! Erst die Kinder im Supermarkt abstellen und somit eine potentielle „Babysitterin“ um ihren Nebenverdienst bringen… und dann auf wichtig machen.

  14. Na, was soll man dazu sagen. Im Hintergrund höre ich die Filmmusik…..
    Lewi

  15. Du schreibst herzerfrischend! Großes Lebenskino 🙂

    Liebe Grüße lasse ich dir da, die Emily

    • Wenn wir hier den 10.000 Klick erreichen, dann schreibt einer von euch eine Berlin-Geschichte zum Jubiläum. Ich werde mich dann sehr entspannt zurücklehnen und kommentieren…ich kann es kaum erwarten. Mal sehen, was ihr zu bieten habt…;-)))

  16. Sehr schön 😉 Kommt einem irgendwie etwas bekannt vor 😉

  17. ich dachte ich gug mal so vorbei schau mal was so schreibst und ja klar
    du halt
    super!!
    schön geschrieben und ja die ironie des lebens kannst du super beschreiben.

  18. dein Blog ist für mich ein super Beispiel des Revivals der 20er Jahre Mondanität.
    Den Sarkasmus im Revolver, die Stangen hochexplosiven Zynsismuses in den Satteltaschen, messenden Blickes durch „deinen“ Bezirk trabend.

    Ride on.

    • Ich lerne gerade auch Mundharmonika spielen… passend zur untergehenden Abendsonne in meinem Kiez…

      • Also ist es so bergab mit good ol‘ Pberg gegangen…
        Die untergehende Sonne sehen…
        Nicht mal ein kleines bisschen Smogverzerrung? Kein schöner Grünstich?
        Bah.
        Wo soll das nur hinführen, wenn man wieder rauchen muss um eine coole cowboystimme zu haben!
        So wird das nichts mit dem Mundharmonika-Krächz-Konzert…
        Ein Jammer.
        Wenn Cowboys jammern würden.

  19. Django reitet vor die Kasse,
    seine Hände voll Melasse,
    Bübchen zieht das Süße an,
    Mama denkt gar nicht daran,
    Deal von Django, welch einTango,
    Bübchen toben, Ma maaa verschroben,
    Django geht, lässt Marktvoll toben!
    Schönes Ende, kein Blut geflossen,
    trotzdem – den Vogel abgeschossen!
    😉

  20. Die Zeit heilt alle Wunden … 😉

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