Monatsarchiv: Oktober 2013

HAPPY HIPPIE HALLOWEEN

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„Sieht gut aus, was. Ist mal was ganz anderes, oder? Irre, was? „

Bernd steht vor mir. Mit weißgeschminktem Gesicht und rot umrandeten Augen. Über seinem Kopf hat er eine metallische Ritterhaube gezogen und darunter klappert eine Eisenrüstung.

Es sind  Vorbereitungen für die große Halloween Party in irgend so einer Neureichen-Villa, auf die Petra, Claudine, Bernd und ich eingeladen sind. Und wie immer nimmt es Bernd ernst. Sehr, sehr ernst. Selbst wenn er nur eine Mülltüte herunterbringt, erstellt er dafür einen ausführlichen Plan, der alle Eventualitäten berücksichtigt. Man weiß ja nie …

In dem Kostüm-Laden in Prenzlauer Berg ist einiges los. Eine rundliche Blonde läuft mit einem grünen Elfenkostüm zwischen den Ständern lang und zupft immer wieder an ihren spitzen Ohren, die sie sich angepappt hat.  Ihre Pausbäckchen sind vor Aufregung ganz rot. Atemlos betrachtet sie sich im Spiegel. Sie ist bestimmt über fünfzig und sehr zufrieden. Ich zähle etwa sieben Stellen, an denen das Kostüm dramatisch spannt und sich wie vor einer Explosion verzweifelt aufbäumt. Ihr Freund trägt ein Metzgerkostüm mit Blutspritzern und dem Aufdruck The Family Butcher. Er nickt ihr immer wieder aufmunternd zu. Ein tolles Paar.

Und vor mir steht Bernd in seinem absurden Aufzug. Ich piekse ihm mit dem Zeigefinger in seinen Brustpanzer.

„Warum trägst du eine Ritterrüstung und schminkst dir das Gesicht weiß? Was soll das sein?“

„Na, ein Zombie-Ritter.“

„Kapier ich nicht.“

„Na,  ein Zombie in einer Ritterrüstung.“

„Ein Zombie zieht sich keine Rüstung an, nachdem er gebissen wurde. Und außerdem …“  Ich überlege laut und betrachte die tiefen Sorgenfalten auf Bernds Stirn.  „… vorher konnte er ja nicht gebissen werden, weil er die Rüstung anhatte, oder?“

Bernd senkt betreten den Kopf. Das Visier seines Helms klappert laut.  Er zuckt mit den Schultern. „Ist logisch. Mist.“

Er setzt sich scheppernd und mit gebeugtem Oberkörper auf einen Stuhl und überlegt. Wunderbar. Ich habe weder Lust, mir ein Kostüm anzuziehen, und mein Gesicht will ich auch nicht bemalen. Ich bin ein Halloween-Party-Pooper. Ich verderbe den anderen die Stimmung – aber so richtig.

Bernds Freundin Petra tanzt aus der Umkleidekabine. Ja. Genau. Sie tanzt mit Trippelschritten durch den Raum und  hat ein Freddy Krüger Kostüm mit  blutigen Scherenhänden an. Schauspielerisch eine glatte Sechs. Sie  strahlt mich an.

„Schrööööckkklllichhh, was?“

Nein, ist es nicht. Einfach nur doof und peinlich. Und viel schlimmer als das: Völlig unlogisch. Sie hat natürlich nicht mit dem Halloween-Enttarner gerechnet, der in einer dunklen Ecke auf sie gewartet hat. Ich hole tief Luft.

„Erstens: Freddy Krüger ist ein Mann.  Verstehst du ?  Er hat keine Brüste.  Nichts da.  Und zweitens … “  Ich lasse mir betont viel Zeit und genieße den tieftraurigen Zug, der um ihre Augen liegt.  „Und zweitens ist er ein Schlitzer, der seine Opfer nachts in ihren Träumen überfällt. Er tanzt nicht leichtfüßig hin und her. Freddy ist kein alberner Rumhopser.“

Bernd klappert aus seiner Ecke. „Da hat er recht. Das passt nicht.  Passt gar nicht“, und dabei freut er sich so richtig, dass er nicht der einzige Loser im Raum ist.

„Mann, du kannst einem alles verderben. Ich gehe trotzdem als Miss Freddy Krüger, so“,  Petra stapft mit dem Fuß wie ein fünfjähriges Kleinkind auf und dabei klirren ihre Scherenhände im Takt.

„Mach doch.  Mach doch. Aber es passt nicht, und unsexy ist es auch noch. Ich habe es dir vorher gesagt …  Du warst gewarnt.“

Klasse. Schon zwei Halloweenies erledigt. Fehlt nur noch Caudine. Und dann sehe ich sie. Es macht mich sprachlos. Es ist absurd. Komplett daneben. Eine Frechheit.

Sie ist barfuß, hat Blumen im Haar und trägt ein knalliges Hippiekostüm mit Stirnband. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Woodstock im Horror-Shop. Das passt mir gar nicht. Sie streckt vor dem Spiegel die Arme aus, als würde sie im Scheinwerferlicht vor einem Millionenpublikum auftreten.

„Ist das nicht toll? Ganz groß ist das. Das wollt ich immer schon mal anziehen. Mann … so schön …“

„Wir gehen auf eine Halloweenparty, nicht auf einen Kindergeburtstag. Was ist jetzt an deinem Outfit gruselig, wenn ich mal fragen darf?“

Sie betrachtet sich im Spiegel. „Weiß nicht. Ich find es einfach schön.“

„Ganz klar, das Thema verfehlt. Das ist so, als ob ein Schüler eine Klassenarbeit über die Folgen des zweiten Weltkriegs schreiben soll und dann eine Arbeit über gesellschaftliche Strukturen in Entenhausen abliefert. Verstehst du? Thema verfehlt. „

Sie richtet die Blumen in ihrem Haar und lächelt sich sebst zu. „Was sollte ich denn sonst nehmen? Es muss ja auch ein bisschen zu meinem Charakter passen, oder?“

„Ich empfehle dir das Bluthexenkostüm auf Ständer drei, oder vielleicht die Verkleidung als Mörderpuppe.  Damit liegst du eher richtig.“

Sie wirft mir eine Plastikblume ins Gesicht und dreht sich eingeschnappt weg. Na also. Nummer drei auch erledigt. Ich betrachte die Früchte meines zähen Kampfes. Herrlich. Schachmatt, Herrschaften. Das Spiel ist aus. Es geht mir richtig gut, aber Miss Freddy Krüger lässt einfach nicht locker.

„Setz dich mal da drüben hin“ , zischelt sie und klirrt mit den Scherenhänden. Sie zeigt in eine Ecke, in der ein unrasierter Kerl in einem Werwolfkostüm sitzt. „Jetzt suchen wir dir mal was raus.“

Als ich Platz nehme, murmelt mir der Mann im Wolfkostüm zu: „Voll Scheiße, wa?  Jedet Jahr der gleiche Mist. Ick hab so richtich die Schnauze voll davon.“

„Dann lass es doch einfach.“

Er blickt mich mit großen Augen an. „Wie denn? Dit da drüben is meene Freundin.“ Er zeigt auf eine kleine Frau, die in einem Teufelin-Kostüm mit schwarzen Schwingen durch die Ständer huscht. „Hab echt keenen Bock uff  Stress mit der.  Ick bin eijentlich Busfahrer.“

Na und, hätte ich fast ausgerufen. Als ob ein Berliner Busfahrer die höchste moralische Instanz in Deutschland wäre, den man auf gar keinen Fall in ein Werwolfkostüm stecken darf.  Er streicht mit der Hand traurig über sein Fell, und ich schlucke meinen Kommentar herunter. Wir sind verzweifelte Brüder. Da lernt man, sich gegenseitig zu respektieren.

Claudine, Petra und Bernd sind zurück. Jeder hat ein Kostüm über den Arm. Claudine streckt mir einen schmutzig-braunen Lappen entgegen.

„Ist eine Moorleichen-Verkleidung. Ich wollt schon erst das Zwangsjacken-Kostüm nehmen … aber das ist auch in Ordnung.“

„Oder willst du lieber den Zombie-Matrosen?“ Petra wedelt mit einem gestreiften Stofffetzen hin und her. Es ist zum Heulen. Dann tritt Bernd einen Schritt vor.

„Ich dachte, das würde dir vielleicht gefallen …“

Es ist ein schwarzes Gummikostüm. Dann sehe ich die goldene Gürtelschnalle und die Maske. Mein Herz macht einen Riesensprung.

„Ist das … ist das etwa … ?“

Ja. Es ist ein Diabolik-Kostüm. Der König der Verbrecher. Der coolste Kriminelle ever. Diabolik –  der Traum meiner Kindheit. Wow. Ich bin gerührt.  Fast hätte ich Bernd umarmt. Ich brauche gefühlte dreißig Minuten um das Kostüm anzuziehen. Es sitzt so eng, dass man seinen Körper vorher mit Butter einreiben müsste. Gehen kann ich darin eigentlich nicht. Es knirscht bei jedem Schritt, und das Gummi über dem Mund ist auch unerträglich.  Ich bekomme praktisch keine Luft. Aber egal.  Damen und Herren: Hier kommt Diabolik.

Als ich vor die Umkleidekabine trete, nickt mir Bernd zu und streckt beide Daumen nach oben.

Claudine zuckt nur mit den Schultern.  „Sieht aus wie ein Tauchanzug.“

„Oder wie ein Fahrradschlauch …“, platzt es aus Petra heraus. „Aber wenigstens kann er mit dem Gummi über dem Mund nicht richtig sprechen. Da haben wir alle was von.“

Mir egal. Ich finde es super. Beim Herausgehen begegnet mir noch einmal der Busfahrer-Werwolf. Er hält zwei Plastiktüten in der Hand und sieht todunglücklich aus.

„Jetz hat mir meene Freundin ooch noch  dit Kostüm fürt nächste Jahr jekooft. Da bin ick `n  Horror-Harlekin.  Ick flipp noch aus.  Richtich Scheiße, wa?“

Das kann man wohl sagen.

Happy Halloween.