„Kalt da draußen, was? `n bisschen Hitze wär jetzt schön, oder? Oder?“
Die Augen meines Videothekenmannes sind zwei glutfarbene Spiralen, rotierend und gewaltig wie die eines indischen Hypnotiseurs, die sich in mein Hirn bohren wollen, um von mir Besitz zu ergreifen. Er ist ein Kiez-Körperfresser, ein Seelenfänger auf der Jagd.
„Komm, wir gehen in die Sauna“, haucht er die Worte über die Theke. „Das wird dir gefallen. Da ist ein Yoga Studio um die Ecke mit ganz süßen Chicks, tolles Ding, sag´ich dir. Ich seh die da immer vor dem Haus rumstehen. Totaler Frauenüberschuss. Genau richtig“, flüstert er – und noch einmal mit Nachdruck und zischelndem Zungenschlag: „Chickssss“.
Es passt mir nicht. Ich schweige. G. schlägt sich die flache Hand vor die Stirn. Es entstehen Geräusche, die einem Schlagzeug nicht unähnlich sind. „Ich bin Single, mann, ich muss was tun …“, ruft er in die leere Videothek, und von den Wänden hallt sein verzweifelter Schrei wider.
Na und? Ist doch nicht mein Problem. Außerdem kann ich Sauna-Anlagen nicht ausstehen. Schwitzige nackte Körper, die öffentlich im Halbdunkeln voller Lethargie vor sich hin stöhnen, sind so gar nicht mein Ding. Und Argumente habe ich auch noch:
„Wir sind hier in Prenzlauer Berg. In der Sauna findest du nur Familienmuttis. Die putzen den ganzen Tag die Felgen von ihren Luxus-Kinderwagen, schlürfen Capuccino und warten auf ihre Ehemänner. Was willst du da denn beziehungstechnisch abgreifen?“
Natürlich ist es frech überzogen, aber ich will nun mal nicht in die Sauna. Auf gar keinen Fall. G. kräuselt die Nase als würde er an verschimmeltem Käse schnuppern.
„Na gut, dann will ich eben nur eine Affäre. Reicht doch auch, oder?“ Er streckt seinen 1.60 Meter Körper gewaltig in die Höhe und trommelt sich auf den Bauch.
„Ich kann nicht mit. Ich habe keinen Bademantel.“ Obendrauf packe ich noch ein endgültig wirkendes Schulterzucken.
G. lächelt und zieht unter seiner Theke ein zusammengelegtes Handtuch hervor. „Brauchst du nicht. Das hier reicht.“ Er rollt das Handtuch mit einer schwungvollen Bewegung aus. Auf dem Stoff ist ein selbstzufrieden grinsender Bär mit Collegejacke und Basketball unter der befellten Hand zu sehen. Passend dazu präsentiert mir G. zwei lilafarbene Badelatschen.
„Mein Gott“, ich wende mich mit einem Gefühl des Ekels ab. Magenkrämpfe habe ich auch. Und Kopfschmerzen.
G. zieht die Mundwinkel nach unten und lässt die Schultern fallen. Seine blauen Augen sind betrübt. „Wer besorgt dir deine alten französischen Schwarz-Weiß -Filme? Wer hat immer ein Tütchen Erdnüsse, wenn du nachts einen kleinen Imbiss brauchst? Ich bin dein Lieblingsvideothekenmann. Nun sollst du einmal was für mich tun, und dann …“
Er feuert eine doppelte Portion Gewissensbisse auf mich ab, weil er weiß, dass das bei mir blendend funktioniert. Immer. Wirklich ausnahmslos. Im Klartext: Ich bin verloren. Erledigt. Zerfetzt in alle Einzelteile.
Genau 38 Minuten später sitze ich in der Sauna, um meine Hüften baumelt das verhasste Bärenhandtuch. Neben mir hockt G.. Auf seinem Oberam klebt ein riesiges Pflaster. Immer wieder streicht er es gerade. Ich weiß auch, warum.
„Du hast das Tattoo mit dem Namen deiner Exfreundin abgeklebt. Findest du das nicht peinlich?“, flüstere ich in sein rechtes Ohr.
„Soll ich es hier allen zeigen? Neee, neee, Strategie, mein Lieber.“
Für mich ist es nur ein gewaltiges Lügenwerk , aber ich sage es G. nicht. (Und wer das Tattoo-Desaster in seiner ganzen Pracht nachlesen möchte – bitte sehr … mit einem Klick geht es hier in den Wahnsinn.)
Mit uns in der Sauna sitzen zwei dürre blonde Frauen um die vierzig. Sie haben beide spinnenartig lange Finger, mit denen sie ihre Worte, jedes einzelne, unterstreichen. Es sind viele Worte, und darum ist es auch eine wilde Fuchtelei. Hektisch und irgendwie gar nicht entspannend.
„Also, der Rashid ist der beste Yoga-Lehrer, den ich jeeeeeee hatte“ , die linke Blondine nickt sich selbst zu “ … der allerbeste, wirklich“, kommen die Wörter zwischen ihren riesigen Zähnen hervor und so laut, dass wir es mithören müssen.
Ich bezweifel, dass der Kerl wirklich Rashid heißt. Wahrscheinlich nur so ein Frank aus Marzahn, der sich für die beiden eine indische Tarnung zugelegt hat. Hat gut geklappt. Für die Beiden reicht es.
Ihre blonde Freundin nickt so schnell wie ein Vogel, der Körner aufpickt. „Also, wie der die Heuschrecke macht. Absolut perfekt. „
Ich werfe G. einen meiner versteinerten Blicke zu. Er reagiert nicht. Er fixiert die Blondine mit den Hasenzähnen und nickt einfach frech mit. Er hat sich offenbar für seine Beute entschieden. Dann schlägt er zu:
„Ist schon schwer einen guten Yoga-Lehrer zu finden. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um das Hot-Bikram-Yoga zu verinnerlichen“, sagt er. Und nach dieser ungeheuerlichen Aussage klopft er sich zufrieden auf den schweißnassen Bauch, während die beiden Blondinen voller Euphorie fast von der hölzernen Sitzbank kippen.
„Ach, das beherrschen sie jetzt?“, ruft die eine.
„Das wollte ich auch schon immer lernen“, brüllt die andere.
Es ist ein Freudenfest der Sinne in der 90-Grad-Folterkammer ausgebrochen. Das Schauspiel von G. ist perfekt. Die Chicksssss wissen nicht, dass G. Horrorfilme liebt, niemals einen Yoga Kurs besucht hat und sich sein Fachwissen grundsätzlich aus der Bild anliest. Reicht ja auch. Wozu studieren? Zeitverschwendung.
Die drei scherzen und albern, und nach weiteren unerträglichen drei Minuten steht G.´s Opfer auf: „Ich geh jetzt einen grünen Tee trinken.“ Sie lächelt, und ihre Zähne wirken wie zwei riesige weiße Stanzen in einer Fabrik.
„Ach, ich nehm auch einen“, juchzt G..
Tür auf. Kalter Wind. Tür zu. Ich bin allein. Fast. Die andere Blonde ist wie ein freudloses Überbleibsel auf einer Tanzparty zurückgeblieben und blickt mich so ernsthaft an, als ob ich den geistreichen Dialog über Yoga-Techniken fortführen müsste. Tu ich aber nicht. Ich starre wie festgetackert auf die Fratze des kleinen Bären, der mich kopfüber vom Handtuch anblickt.
Und dann – schon wieder: Tür auf. Eiskalter Hauch. Tür zu. Aufguss.
Ein Typ mit dunklem, hochtoupiertem Haar schwenkt seinen Holzlöffel in der Mitte der Sauna und brüllt: „Ist eine feine Wodkamischung. Was ganz spezielles. Das wird Ihnen gefallen.“
Die Blonde kreischt genauso laut zurück: „Waaaas? Nein, auf keinen Fall. Keinen Alkohol, also bitte, ja …?“
Ich bin irritiert. Es ist eine Sauna. Es ist üblich. Ich will meinen Wodka, und ich bin bereit für ihn zu kämpfen. Einfach nur aus Prinzip. „Also, ich würde mich über den Aufguss freuen.“
„Ich aber nicht.“ Sie sagt es mit bedrohlichem Unterton.
„Ich schon.“ Dummerweise klinge ich dabei wie ein trotziges Kleinkind.
„Ich möchte diese Jasmin-Mischung, die es hier immer gibt.“ Sie fuchtelt mit der flachen Hand herum wie ein Gebärdendolmetscher.
„Wodka“, fauche ich zurück.
Der Aufguss-Boy ist verzweifelt. Er guckt nach rechts. Er guckt nach links. Völlige Irritation. Das muss ich nutzen.
„Verzeihung“, rufe ich ihm zu, „eine Sauna ohne Wodka-Aufguss – also, mal ehrlich … Solche Wünsche würde ich nur von einem Alkoholiker auf Entzug erwarten. Unter diesen Umständen bin ich natürlich bereit, zu verzichten. „ Ich nicke dem Aufgießer zu. „Dann also einmal Jasmin, bitte.“
Die Blonde springt von ihrer Holzbank auf, zerteilt mit imaginären Handkantenschlägen die Luft und zischelt Worte, die ich nicht verstehen will.
Tür auf. Nordische Kälte. Tür zu. Gewonnen.
„Sie kriegen dann jetzt Wodka, ja?“, sagt der Aufgießer und schaut mich erschöpft an. Seine hoch toupierten Haare sind in der Hitze in sich zusammengefallen und sehen aus wie eine zottlige Biberfellmütze, die ihm bis über die Augen ragt.
„Ach, ich würde auch Jasmin probieren. Warum nicht?“
Eine halbe Stunde später stehe ich vor der Sauna und warte auf G.. Er sieht alt aus, müde und irgendwie lustlos.
„Wo ist denn die Blonde mit den Monsterzähnen? Hat´s nicht geklappt?“
Er starrt auf den Bürgersteig und schiebt ein Blatt vor seinem Schuh hin und her. „Das Pflaster am Arm ist mir unter der Dusche abgegangen.“
„Ganz ab?“
„Ja.“
„Ach, schade.“
Schweigend laufen wir die Straße hinab. Es regnet. Ich halte das Bärenhandtuch über meinen Kopf und freue mich auf meine französischen Schwarz-Weiß-Filme. Und auf das Tütchen Erdnüsse.
Der Videothekenmann erinnert mich an Moe Szyslak aus den Simpsons 🙂
Mich auch. Ich kenne ihn leider zu lange. Wenn du versuchst, dich in seine Gedankengänge einzuarbeiten, spürst du die feinen Wellen von Wahnsinn, die zu dir herüberschwappen.
Und wo bekomme ich jetzt ein Tütchen Erdnüsse her?
Einmal mit dem Videothekenmann in die Sauna. Da geht was …;-)))
hahahahahahaha…. gute Antwort…. treffsicher…..
Ich hatte noch nie einen Wodka-Aufguß in der Sauna!!! Alles mögliche, aber noch nie Wodka!!! Menno!!! 😕
Aha! Geoutet als Yasmin-Lover. Puhhhh.
Nein, nein! Tannen- und Fichtennadelnduft, und herbe Kräutlein! 😉
*Doppel-Puh*
Also, ich riech das sehr gerne. 😉 Auch den Duft von Zitrusfrüchten oder Lemongras. 😉
na, das ist ja mal eine Geschichte nach meinem Geschmack 😉 Und schon sprießen mir wieder die Ideen in den Kopf… wenn ich denn mal in Berlin eine Yoga-Sauna eröffnen würde, so würde ich dort Hot Bikram Yoga mit alten, französischen schwarz-weiß Filmen anbieten… und zum Abschluß gäb es ein Schälchen Erdnüsse mit einem Tässchen Jasmintee und einem Schüsschen Wodka. Ich glaube, das würde in Berlin gut ankommen… ich kenne nämlich noch so einen Menschen mit ähnlicher Ausrichtung in der Weltstadt Berlin… allein euch beide dort mal hinzulocken wäre mir doch schon jede Mühe wert 😉 Wir würden dann die Posen der alten französischen Filme mit allen Sinnen schwitzend nachempfinden können… Ich überlege gerade ob ich mir wohl auch einen anderen Namen zulege??? ChantalJayanti (die siegreiche Chantal) oder Chloémadura (die liebliche Chloé) Was denkst du??? Ich glaube ich stell mal die Welt auf den Kopf und laß das mal wirken 😉
Ich nehme die liebliche Chloé – es klingt irgendwie … harmloser.
haha… ich sag dazu jetzt nix 😉
Schickes Handtuch … du traust dich was …
G. besitzt auch ein Handtuch mit einem Bären in britischer Polizeiuniform. Sein Spektrum möglicher Demütigungen ist grenzenlos.
Danke, Tag gerettet 🙂
Aber wie riecht Jasmin noch einmal?
Alles über Gerüche, die vorwiegend in Seniorenstiften zu finden sind, kann dir die geschätzte Bloggerin „Freidenkerin“ verraten…;-))))
Oooooooh, wie gemeiiiin! 😉
Jetzt wird erst mal ein Kamilleteechen geschlürft, um den Schrecken zu verdauen, was?
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es für die Zukunft das beste wäre,, wenn du dir eine neue Videothek suchst – eine mit einem guten Sortiment alten französischen Schwarzweißfilmen und kleinen Erdnusstütchen. Denn da scheint mir etwas Unwiderruflich geschehen zu sehen, und es könnte sein, dass Bärenhandtücher, Rashids Yogamaßnahmen und undefinierbare Jasminausdünstungen, von anderen Dingen gar nicht zu reden, sich irgendwann zu unguten Erinnerungen oder gar Alpträumen verdichten.
My fantasy man, a man wrapped in a teddy bear towel, I so need that towel. Maybe its my fantasy towel thats important here ??? 😉
I want that towel !!
Herrlich 😀 Ich weiß schon,warum ich Gewissensbisse im Keim ersticke..
Aber die Schwarz-Weiß-Filme waren gut und die Nüsse lecker. So.
..der Preis eine erheiternde Geschichte für alle anderen 😉 Von daher habe ich keinerlei Einwände 😀
Dir ist aber schon klar, dass der Sinn der Geschichte darin besteht, eine Freundin für G. zu finden, nicht wahr? Und da du ja offenbar seine Leidenschaft für Tattoos teilst, also … (*Kuppleralarm*) …;-)))))
Durchaus..allerdings sind es Deine Vorlieben,die die Bahn für die Gewissensbisse lieferten.. 😉
Leidenschaft für Tattoos? Wie kommst Du denn auf die Idee? *stillaufleisensohlenvomblogschleichtunduntertaucht*
Typisch. Husch und weg. Sorry G.. Ich hab es versucht. Wirklich.
Ich HASSE Kamillentee… 😕
Typisch renitentes Verhalten einer Seniorin..;-)))))))
Aber hallo! Und wie renitent ich sein kann! Ich sattle gleich meinen Hackenporsche, reite nach Berlin, und hau‘ dir meinen Krückstock um die Öhrchen!
… teilten die Beamten der Mordkommission heute mit, dass das Opfer nur mit einem Handtuch bekleidet war, auf dem ein kleiner Bär aufgedruckt war.
😆
Ach, ich habe grad beschlossen, dich doch noch ein Weilchen leben zu lassen – du schreibst gar so schöne Geschichten. 😉
Ich war über den Anfang der Geschichte erstaunt. Ganz andere Sprache als sonst, dann aber doch wieder in deinem unbeschwerten Schlendergang vollendet.
Thanks a bunch for that.
Respekt, mein Lieber ;-))) Es ist mir auch aufgefallen. Ich habe parallel an einem Manuskript gearbeitet, mit einem völlig anderen Stil. Da gibt es keine aggressiven Adverbien, erst recht keine albernen Adjektive – und beim Switchen ist es so wie beim Aufwachen nach einer durchzechten Nacht: „Wo bin ich jetzt eigentlich? Ach ja … klar …“
Klingt auch spannend.
Also das Manuskript. Nicht die durchzechte Nacht;-)
..du trägst nagellack auf deinen fußzehen? 😉
Selbstverständlich. Könnte dir auch nicht schaden.
Tattoo abkleben wird auf Dauer niemals funktionieren, wenn es nichtmal einen Saunabend übersteht. Er muss also nach Frauen gleichen Namens suchen und Sarah mit H ist ja häufig genug um eine gewisse Auswahl zu bieten… Vllt. ja sogar ne Idee für ne Kuppel-Website für Namenstattooierte…
Eine wundervolle Idee für ein Start-Up-Unternehmen, das mit diesem Vorschlag Millionen verdienen wird. Danke, Ulli.