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DIE KNISTERZICKE IM KINO

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World War Z. Ein Zombiefilm. Herrlich. Darauf haben wir uns seit Wochen gefreut. Claudine will den Film wegen Brad Pitt sehen. Nur deswegen. Ist mir aber recht. Hauptsache auf der Leinwand wird ordentlich gefetzt, gebissen und gemeuchelt.

Das Prenzlauer Berg -Kino ist an diesem warmen Sommertag fast leer. Der Sitz neben mir auch. Natürlich darf das so nicht bleiben. Es ist nie so. Ich habe den Gedanken nicht einmal vollendet, da stapft so ein Wollmonster in unsere Reihe. Die Frau wirkt fast maskiert mit ihrem dicken Pullover, der Wollmütze und den halbhohen Stiefeln.

„Hoffentlich setzt die sich nicht neben mich“, flüstert mir Claudine zu.

Nein, nein. Keine Sorge. Sie setzt sich genau neben mich. Es ist so wie immer, einem geheimen Gesetz folgend. Ein fast leeres Kino, aber der einzige Freak im Saal sitzt neben mir. Bewaffnet mit einer Cola in der Größe eines Öltanks und einem Popcorn-Container, der sicher für Lieferengpässe in der Fast Food Produktion sorgen wird. In der anderen Hand hält sie die Packung obligatorischer, stinkender Nachos.  Schon im Gehen schlürft sie an dem Strohhalm. Ihre  hasenartigen Zähne haben sich regelrecht in das Plastik gebohrt. Sie plumpst in den Sessel. Da sitzt sie nun. Das kann nicht gut gehen. Niemals.

Und tatsächlich. Der Film läuft vielleicht fünfzehn Minuten, da zeigt sie ihre hässlische Kino-Nerv-Fratze.

Als Brad Pitt mit seiner Familie vor einer Horde Zombies flüchtet, klingelt ihr Handy. Es ist eine kindische Eiswagenmelodie, die durch den Saal hallt. Sie durchwühlt ihre riesige Ledertasche. Sie sucht. Sie findet. Sie klappt auf. Und sie brabbelt.

„Was… echt… ach du Scheiße…“

Ich schnaufe sie von der Seite zornig an.

„So `ne Scheiße… Scheiße… echt…?“, ungerührt macht sie weiter.

Sie klappt das Handy zu.

„Können Sie das mal lassen?“

„War wichtig. Meine Freundin hat sich gerade im Sale die total falschen Klamotten gekauft.“

„Interessiert mich nicht. Ich will nur den Film sehen, verstehen Sie?“

Sie starrt mich im Dunkeln nachdenklich an.

„Ach, wir können uns ruhig duzen.“

„Ich will Sie nicht duzen. Ich will den Film sehen, klar?“

Ich schweige. Sie auch. Dafür schiebt sie sich in den nächsten Minuten ihr knisterndes Popcorn in den Mund. Ihre Hände sind geformt wie menschliche Schaufelbagger, mit denen mechanisch das Popcorn auf ihre Zunge befördert wird. Besonders hartnäckige Maiskörner zerhackt sie mit den Backenzähnen. Lautstark und unermüdlich. Dann spüre ich ihren Ellenbogen an meinem. Stück für Stück schiebt sie meinen Arm von der Lehne. Das lasse ich mir nicht gefallen. Ruckartig schiebe ich meinen Ellenbogen zurück. Der Popcornbecher knallt auf den Boden. Sie guckt mich energielos an. Zwei Drittel der Knisterkörner liegen zwischen den Sitzreihen. Ich triumphiere innerlich. Gleich ist Schluss mit dem Geknacke. Habe ich zumindest gedacht.

„Ist nich schlimm“ murmelt sie, „nich schlimm…“

Ach so.  Warum eigentlich nicht?  Sie geht in die Hocke,  krabbelt auf dem Boden herum, sammelt das Popcorn auf und schiebt es sich im selben Moment in den Mund. Die Geräusche erinnern in ihrer Intensität an ein russisches Maschinengewehr mit niemals endender Munition. Es macht mich fertig

„Wollen wir nicht andere Plätze nehmen?“, raunt mir Claudine zu, die mir mein unendliches Leid ansieht.

„Nein“, fauche ich zurück, „ich lass mich nicht so einfach vertreiben,  kommt gar nicht in Frage. Das sind die besten Plätze. Ich bleibe.“

Ich verkralle mich in meinem Sitz. Sie wird nicht gewinnen. Auf keinen Fall. Nach einigen dümmlichen Lachern, die meine Sitznachbarin grundsätzlich an den falschen Stellen loslässt, spüre ich meine dahin gehenden Nerven.  Das Popcorn ist wenigstens alle. Dafür sind jetzt die Nachos dran. Hauptsache es macht Krach. Mein Unterkiefer zittert vor Wut, als ein paar dünne Pepperonischeiben auf meinem Knie landen. Ich fege sie kommentarlos fort.

„Tschuldigung…“, blubbert es von nebenan.

Der Höhepunkt des Films nähert sich. Im Saal auch. Es ist die letzte Attacke auf der Leinwand und davor.

„Boah, ist das heiß hier…“, sagt sie zu sich selbst.

Zwei Reißverschlüsse ratschen. Sie zieht die Stiefel aus. Beide. Eine Welle warmer, muffiger Luft, die sich mit dem Chiligestank aus der Plastikschale mischt, bohrt sich in meine Nase. Meine rechte Hand zittert. Dann auch noch die linke. Claudine packt ihre Sachen.

„Ich setze mich zwei Reihen nach hinten. Mir reicht das jetzt.“

Im Aufstehen zischelt sie der fast Barfüßigen zu, “ heute Abend duschen wir aber mal wieder, was?“

Die Knisterkuh kontert auf meisterhafte Weise.

„Hä…?“

Claudine ist fort. Ich bin allein. Neben mir ein  übermächtiger Gegner.  Trotzig zieht die Knisterzicke  auch noch ihren Pullover aus. Diesmal erreicht meine Nasenlöcher ein exquisiter Kellergeruch. Kommt mir bekannt vor aus den Siebzigern, einer Zeit, in der die Leute noch Kohlen hinter ihren Holzverschlägen stapelten.

Schlürfen. Knacken. Muffelfüße.

Infam. Perfide. Gemein.

Der Film ist vorbei. Das Licht geht an. Ich werfe meiner Sitznachbarin einen hasserfüllten Blick zu. Interessiert sie nicht. Sie zieht sich die Schuhe an. Auf ihrem hennaroten Haar thront wieder die Wollmütze.

„Geiler Film, was? Find ja Vampire eigentlich besser… trotzdem geil…“

Ja, sie sieht sehr zufrieden aus. Für sie war es ein gelungener Kinobesuch. Claudine winkt mir zu.

„Komm, wir gehen nach nebenan in die Bar.“

Die Knisterzicke horcht auf. Die Spitzen ihrer  Ohren vibrieren leicht.

„Ach, geht ihr noch was trinken?“, fragt sie, als ob sie hier mit ihren besten Freunden unterwegs wäre. Die Schübe von Wut in mir werden von einer Welle der Fassungslosigkeit weggespült.

„Nein, wir trinken nichts. Ich mache jetzt genau das Gegenteil. Ich gehe auf  die Toilette“, und dann husche ich durch die Sitzreihen zum Ausgang.

„Ich auch. Ich auch“, ruft im Claudine im Gehen. Hinter mir höre ich ihre erstaunlich schnellen Trippelschritte.

Als die Toilettentür hinter mir zufällt, atme ich auf. Ich spüle meine Pulsadern mit kaltem Wasser ab. Minutenlang. Im Spiegel sehe ich mein Gesicht. Die leichten Züge von Panik, die sich da abzeichnen, sind womöglich nur eingebildet. Ich öffne die Toilettentür. Ganz leise und nur einen Spalt breit. Von Claudine keine Spur. Der Schock , den ich nun spüre,  ist wie ein brutzelnder, kleiner Stromschlag.

Die Knisterzicke läuft durch das Kinofoyer. Irgendwie steif. Und suchend. Als würde sie die Luft durchschnuppern, um unsere Fährte aufzunehmen.  Wie eine leichenblasse Untote mit klapperndem Kiefer. Ich schließe die Toilettentür. Geräuschlos. Mit stockendem Atem.

Für einen Moment denke ich darüber nach, ob ich Claudine mit Klopfzeichen an der Wand zur Damentoilette warnen soll. Ich lasse es. In einer solchen Krise ist sich jeder selbst überlassen.

Und nächstes Mal versuchen wir es einfach mit einer romantischen Komödie.

Irgendwas mit Meg Ryan.

Wird auch irgendwie gehen.

Irgendwie…