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ESST, ESST, BIS IHR PLATZT …

Fattie

Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der es schafft, ein ganzes Mars im Stück zu vertilgen. Bis heute. Peter ist ein großer Mensch. Aber auch schwer. Die einzigen Muskeln, die er unermüdlich und leidenschaftlich bewegt, sind in seinem Kiefer.

Kauen. Zerstampfen. Wegschlucken.

Wir haben uns heute Morgen am Helmholtzplatz verabredet. Zum Brunchen. Claudine stellt mir ihren Ex-Freund vor.  Peter ist schon ganz aufgeregt. Er schüttelt meine Hand hektisch, blickt mir nicht ins Gesicht und durchforstet stattdessen lieber die Umgebung nach Nahrung. Immer wieder schiebt er sein Hemd in die Hose. Die unteren Knöpfe kriegt er sowieso nicht mehr zu. Sein Bauch ist ein festlich gespanntes Zelt . Ein wackelnder Geigerzähler, der bei besonders kalorienhaltiger Nahrung wild vibriert. Er kneift die Augen zusammen. Er ist ein Jäger. Und er hat Hunger. Großen Hunger.

„Also, mal sehen. Da drüben kostet der Brunch 12,50 Euro.  Zu wenig Fleich. Ist also nix.  Da drüben gibt´s was für 9,50 Euro, aber die Beilagen taugen nichts. Viel zu viel Obst. Sowas mag ich nicht. Die da nehmen 11 Euro. Kann ich nur empfehlen. Bouletten, Nudeln und Würste und dann noch Tiramisu als Nachtisch. Da gehen wir hin. Man braucht ja auf dem Teller ´n bisschen was zum Spielen.“

Er beendet seinen Vortrag mit einem lauten und disharmonischen Lachen und schiebt seinen Bauch über die Straße. Wir folgen ihm.

„Das war mal dein Freund? Ich fass es nicht. Wirklich nicht“, flüster ich Claudine im Gehen zu.

„Der war mal ganz schlank. Und außerdem waren wir nur ein halbes Jahr zusammen.“

„Und danach hat er seinen Kummer in zweihundert Litern flüssiger Schokolade ertränkt?“

Claudine schweigt. Endlich, nach all der Zeit, habe ich an ihr eine Schwäche entdeckt, die sie nicht vertuschen kann. Peters innere Werte müssen ja gewaltig sein – zumindest wenn ich sie ins Verhältnis zu seiner Leibesfülle setze.

Im Restaurant hat er sofort die volle Übersicht. Er greift sich den Tisch, der am nächsten zum Buffet steht. Er lacht schon wieder.

„Ist der beste Platz hier. Von hier aus können wir in die Küche gucken. Dann sehen wir gleich, wenn wieder was Neues kommt. Da sind wir die ersten am Buffet.  Ist das A und O – könnt ihr mir glauben … „

Er zwinkert uns mit seinen kleinen Augen fröhlich zu. Claudine senkt beschämt den Kopf.

„Da hat er Recht, der Peter, oder ?“, rufe ich ihr in einem Anfall von Verrätertum zu.

„Aber so was von … „, raunt uns Peter kauend über den Tisch zu.

Claudine knirscht nur mit den Zähnen. Am liebsten würde sie sich eine Serviette über ihr Gesicht hängen, so peinlich ist es ihr.  Es ist ein herrlicher Moment, den ich mir ganz, ganz fest einpräge für später , wenn die Tage wieder dunkler werden.

In der folgenden halben Stunde galoppiert Peter mit vollendeter Eleganz das Buffet hoch und runter. Er tänzelt um den Bohnensalat herum, dreht Pirouetten um die Bouletten, balanciert Melonenscheiben auf seinen ausgestreckten Armen und dabei lässt er den erschöpften Koch in der Küche nicht eine Sekunde aus den Augen.

Ich bin schon nach einer halben Portion Milchreis erledigt. Das kann Peter gar nicht verstehen. Das lässt er auch nicht zu. Er greift in die Tasche seines Jacketts und zieht eine Zitrone heraus.

„Jetzt nicht schlappmachen. Wenn der Magen voll ist, einfach an einer Scheibe Zitrone kauen. Das regt die Magensäure an. Dann ist das Völlegefühl weg, und es geht wieder was rein … Könnt ihr mir glauben.“

Ich glaube es ihm. Sofort.  Dennoch streckt er mir immer wieder die Zitrone über den Tisch. Irgendwann beiße ich genervt rein. Ich will es mir nicht mit meinem neuen Verbündeten verscherzen.

„Warum habt ihr euch damals eigentlich getrennt?“ , frage ich und habe größte Schwierigkeiten, die Worte mit meiner übersäuerten Zunge zu formulieren.

Claudine knurrt etwas Unverständliches und zeigt mir die Zähne. Sie presst die Lippen so hart dagegen, dass das Rot ihres Lippenstiftes Spuren auf dem weißen Zahnschmelz hinterlässt. Einen Moment lang sieht sie aus, als hätte sie an einem schamanischen Heilungsritual der Duga-Indianer teilgenommen.

„Das passte irgendwie nicht“, zischelt sie mich von der Seite an.

„Ist mir nicht leichtgefallen, mich damals zu trennen. Echt nicht.“  Peter quetscht die Sätze zwischen dem Schwänzchen einer Makrele hervor, das auf seiner Zunge auf- und abwippt.

„Er hat sich von dir getrennt?“,  frage ich Claudine.

„Das ist fünfzehn Jahre her.“

„Na und? Passiert ist es trotzdem.“

Peter lauscht dem Dialog mit großer Freude. „Na, Claudinechen hatte damals auch ein paar mehr Gramm auf den Rippchen. Mich hat`s ein bisschen gestört“.

Er fährt seine Handflächen in der Luft aus, um wie ein Angler rein imaginär die Größe eines Walfischs anzudeuten.  „War `ne andere Zeit. Heute wär mir das egal“, sagt er, beugt sich mit seinen dicken Bäckchen nach vorne und zwinkert Claudine zu.

Sie zappelt unruhig auf dem Stuhl herum.  Natürlich. In einer solchen Situation weiß man ja nie, was eine Ex-Liebschaft noch so alles auspackt. Als draußen, vor dem Restaurant, eine silbergraue Mercedes-Limousine vorfährt, lehnt sie sich entspannt an die Lehne ihres Stuhls zurück und atmet mit Erleichterung die Luft aus. Peter registriert den Wagen aus den Augenwinkeln.

„Oh, ich muss los, zum Flughafen.  Jetzt geht´s wieder ab nach Frankfurt. Ich muss zu ´ner Aktionärsversammlung. Stinklangweilig, aber das Essen ist echt `ne Pracht. Das lohnt sich.“

Er erhebt sich mit einem Ächzen vom Stuhl, greift nach einer Serviette und legt ein paar Cremebällchen vom Buffet hinein . Vorsichtig, ganz vorsichtig verstaut er die Beute in seiner Jackettasche. „Marschproviant„, ruft er uns noch einmal fröhlich zu, dann ist er verschwunden.

Auf dem Nachhauseweg schweigt Claudine. Sie starrt auf ihre Schuhspitzen und kneift die Lippen zusammen.  Wie eine geschlagene Jeanne D`arc ist sie vom Schlachtfeld des Buffets von dannen gezogen – auf ihrer Rüstung Fettspritzer und Spuren von Schokoladentorte. Es ist ein wundervoller Moment.

Ich frage mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie mit Peter zusammen geblieben wäre. Vielleicht hätten sich die beiden zum Ausklang eines jeden Abends Sahne in die weit geöffneten  Münder gespritzt  und sämtliche Pizzaboten der Stadt verschlissen.

Ich versuche, mein Lächeln herunterzuschlucken. Zu spät. Sie sieht es.

„Ich kenn dich. Ich weiß genau, was du denkst. Ich kann es fast riechen.  Ich empfehle dir,  jetzt einfach mal den Mund zu halten – sonst ist hier Riesenärger im Anmarsch, klar?“  

Ich schweige. Aber es ist das beste Schweigen, dass es jemals auf der Welt gab  – und von allen Welten, die da noch kommen.

Jede Wette.