Claudine war einkaufen. In ihrem liebsten schwedischen Möbelhaus. Nun tänzelt sie auf ihren Stilettos die Stufen zu meiner Wohnung hoch. Ihre Hände sind leer. Das kann nicht sein. Es ist ausgeschlossen. Sie kann kein Geschäft betreten, ohne etwas zu kaufen. Es ist eine verlässliche mathematische Regel. Und erst jetzt sehe ich den Kerl, der sich hinter ihr schwer keuchend die Treppen hochschleppt, mit braunen Pappkartons beladen wie ein treuer Esel. Es ist eine Szene, wie man sie aus vorchristlichen Darstellungen kennt, etwa, wenn die Königin von Saba stolz durch die Lande streift und ihre Gefolgschaft durch Schlamm und Moder watet und ihren gesamten Hausrat auf den Schultern gebuckelt hat.
„Da bin ich wieder„, sagt sie strahlend, und das Dickerchen hinter ihr folgt ihr mit der größtmöglichen Selbstverständlichkeit durch meinen Flur.
„Tach“, raunt er mir zu.
Es ist so ein untersetzter Kerl, der sich aufgrund seiner ausgeprägten Körperfülle sicher von Frauen gerne als Bärchen bezeichnen lässt. Dicke Männer machen so was. Je mehr Körperfülle, desto mehr Bärchen. Irritierenderweise trägt dieser hier eine gelbe Pannenhelferuniform. Ich versuche, mir die Geschichte zu dieser Szene vorzustellen. Es gelingt mir nicht.
Die Pakete werden in meiner Küche abgeladen. Claudine fetzt mit rasiermesserscharfen Fingernägeln die Kartons auf. Sie hat es jahrelang studiert. Es ist ihr spezielles Talent. Jeder sollte eines haben.
Sie bemerkt mein ratloses Gesicht.
„Nun guck doch nicht so. Wird Zeit, dass sich hier mal was ändert. Überall liegen deine Kippen rum. Da gibt´s jetzt einen schönen Aschenbecher für dich, mit Sonnenblumenmotiven. Der wird dir gefallen. Dann noch ein neues Besteck. Man kann doch nicht mit drei Gabeln und zwei Messern über die Runden kommen, oder?“
Das Bärchen lacht meckernd und anbiedernd mit.
„Nein, das geht doch nicht“, brubbelt er aus seinem unrasierten Gesicht heraus.
„Und neue Handtücher habe ich auch gleich besorgt. Die Lappen in deinem Bad waren ja eine Zumutung.“
Bärchen nickt zustimmend.
Claudine rast ins Bad, um die neuen Handtücher aufzuhängen. Sie sind gelb. Ich hasse diese Farbe. Der Dicke beugt sich etwas zu mir herüber. Darauf hat er die ganze Zeit gewartet.
„Sind sie verheiratet?“, fragt er mit unverschämter Neugierde.
„Nein. Wir sind Freunde.“
„Ach, aber sie sind nicht DER Freund?“
„Nein“, ich bemühe mich, möglichst viel Kälte in meine Stimme zu legen und bedauere das Nichtvorhandensein stahlblauer Augen.
Claudine prescht aus dem Bad. Zu ihrem großen Glück gibt es immer noch Kartons, die aufgerissen werden müssen. Sie winkt dem Pannenhelfer-Bärchen zum Abschied zu.
Und es winkt zurück.
„Ich meld mich dann mal bei Gelegenheit“, ruft er ihr fröhlich zu.
„Jahaaa, geht klaaahharr…“, säuselt sie.
Der Bär schiebt seinen wuchtigen Schädel über die Schwelle, zieht die Tür zu und verschwindet.
Endlich.
„Kannst du mir mal sagen, was das war?“
Claudine guckt unwillig von einer funkelnden Brotbox auf, die sie brutal aus der Pappe reißt.
„Na was denn wohl? Ich bin mit meinem Auto am Alex liegengeblieben. Ich war auf dem Weg zum Einkaufen und dann…“
„Der Pannenhelfer-Heini hat dich hingefahren?“
„Ja, klar. Hat er.“
„Wirklich?“
„Ja, und er hat mir auch beim Einkaufen und beim Schleppen geholfen. Du hast ja auf so was keine Lust.“
„Und dann hat er dich zurückgefahren und die Sachen nach oben getragen?“
„Hast du doch gesehen. Hat er. Ja. Ja…“, mittlerweile mit genervtem Unterton.
„Und dann hast du ihm deine Telefonnummer gegeben.“
Nun blickt mich Claudine völlig entgeistert an. Sie stemmt empört die Hände in die Hüften und lächelt wölfisch.
„Quatsch. Das war die Nummer von meiner Mutter. Die ist fast Siebzig. Die freut sich, wenn mal jemand anruft. Was dachtest du denn?“
Gar nichts.
Ich dachte gar nichts mehr und streifte meine Kippe in dem neuen Sonnenblumen-Aschenbecher ab.
Ganz langsam.
Und grübelnd.