Schlagwort-Archive: Federspiel

FEDERSPIEL: DER ALBTRAUM EINER HAUSMEISTERIN

„Sie glauben wohl, dass ich ihre persönliche Putzfrau bin, oder was?” Meine Hausmeisterin hat diesen empört verkrampften Zug um ihre Lippen, der ihr den Charme eines stiernackigen Türstehers verpasst. “Bin ich aber nicht. Damit das mal klar ist.”

Ihre Kittelschürze ist komplett durchgeschwitzt. Dunkle Flecken sind vom Rocksaum bis hoch zu ihrem Halsausschnitt gewandert. Das verspielte Blumenmuster im Stoff ist durch die Nässe kaum noch erkennbar. Auf ihren nackten Oberarmen glänzt der Schweiß.  Es tröpfelt. Sie beugt sich vor und stützt den Oberkörper auf ihren Schrubber. “Ständig laufen Sie mit ihren  Energy-Drinks durchs Treppenhaus und verkleistern mir  das ganze  Linoleum.” Sie blickt über den Rand ihrer Brille. “Ständig. Das Zeug pappt wie Teer. Und Sie patschen auch immer noch mit Ihren Pfoten gegen die Glasscheibe an der Haustür. Meinen Sie, ich krieg das nicht mit?”

“Schon, aber …”

“Aber … aber … Immer dieses Aber. Das ist schon schlimm genug, und jetzt auch noch …”

“Tschuldigung.”  Ich möchte dieses Gespräch im Treppenhaus verkürzen. Mir ist viel zu heiß. Außerdem höre ich hinter den geschlossenen Wohnungstüren dieses verdächtige Rascheln, wie es nur entsteht, wenn ein neugieriger Nachbar sich leidenschaftsvoll mit seinem Körper gegen die Tür presst und durch den Spion linst. Ich bemühe mich um ein möglichst schuldbewusstes Gesicht: Blick senken, Augenbrauen runter ziehen und dabei auch noch die Schultern fallen lassen. Alles nach unten – und fertig.

Dieses schauspielerische Meisterstück hat schon während meiner Schulzeit eine unglaubliche Wirkung entfacht: Etwa, wenn mich meine knallharte Mathelehrerin dabei erwischt hatte, wie ich mit meinem Taschenmesser heiße Liebesschwüre in die Holzbank ritzte – dann einfach umschalten auf Betroffenheit. Die Experten garnieren diese Gestik noch mit einem treudoofen Augenaufschlag und einem angedeuteten Schluchzen. Meist war meine Lehrerin dann so gerührt, dass sie mir auch noch die Hälfte von ihren selbstgeschmierten Teewurst-Stullen angeboten hat. Die Betroffenheits-Nummer klappt immer. Eigentlich.

Meine Hausmeisterin atmet tief aus. Es klingt, wie die entweichende Luft aus einem Schlauchboot. “Jetzt machen Sie hier mal nicht auf unschuldiges Lamm. Können Sie sich sparen, das. Ich weiß doch, wie durchtrieben Sie sind” (Diese ungeheure Beschuldigung lässt sich übrigens  hier  ganz leicht überprüfen.)

Na gut. Dann eben nicht. War einen Versuch wert.

Sie greift in die rechte Tasche ihrer Kittelschürze und wühlt darin herum. Ein Schlüssel klappert. Das Papier eines zerfetzten Kinderriegels wird sichtbar und … drei weiße Federn. “Was ist das hier? Rupfen Sie Hühner in Ihrer Wohnung, oder was?”

Die Federn liegen ausgebreitet in ihrer schwieligen Hand. “Ich hab das Zeugs vor Ihrer Haustür gefunden, unten am Briefkasten, vorm Keller und an den Mülltonnen. Das ist doch nicht normal, so was!”

Natürlich könnte ich ihr jetzt erklären, dass ich einen Trailer für mein Buch “Federspiel” produziert habe. Die Federn sind die letzten Überbleibsel meines Drehs – und sie liegen überall in meiner Wohnung herum, zwischen Büchern, im Kühlschrank, auf dem Sofa – wirklich überall. Manchmal, wenn die Balkontür offen ist, treibt eine laue Sommerbrise die Federn in die Höhe und lässt sie durch die Wohnung fliegen. Aber nein, das behalte ich für mich. Sie würde meine Erklärung  nur als die bemühte Ausrede eines bereits Verurteilten abstempeln. In den Augen meiner Hausmeisterin bin ich ohnehin schon auf das Niveau eines Wilddiebs geschrumpft.

“Hm, muss irgendwas aus meinem Kissen sein.” Ich tippe mit dem Zeigefinger gegen meine Unterlippe. “Ja, das muss vom Kissen sein, ich bin mir sicher.”

“Sie pennen jetzt im Hausflur, oder wie?”

“Nein, natürlich nicht.  Tut mir leid. Aber wenigstens  pappen die Federn ja nicht am Boden.”

„Ach, dann is ja alles prima, was?“  Sie lacht ihr durchgeröstetes Nikotin-Gelächter, heiser im Abgang, mit diesem unverschämt klebrigen Timbre, wie es nur ein echter Raucher zustande bringt.  „Dann versuchen Sie doch mal selbst das Zeugs aufzusammeln.“  Sie streckt die Arme weit von sich und wiegt den Oberkörper hin und her. Sieht aus wie die perfekte Simulation einer Cessna im Landeanflug.  „Wenn ich da ranschrubbe, fliegen die hoch.  Die kann ich alle einzeln aufsammeln.“

Aber ist ja nun alles auch nicht sooo schlimm, oder?

Vor Empörung schaukelt  ihr grauer Dutt hin und her,  als würde er kurz vor dem Einsturz stehen.  “Nee, ist nicht schlimm. Klar. Für Sie is alles schön easy, was? Ich sag immer: Wer trübe Fenster hat, für den ist sowieso alles grau. Sie müssen mal Ihre Grundsätze überprüfen, junger Mann.” Sie stampft ihren Wischmopp in den Plastikeimer. Unser philosophischer Disput ist beendet.

Drei Tage später schickt mir der Verlag das erste Exemplar des Vorabdrucks meines Buches. “One of the very rarest things” heißt es in dem Begleitschreiben. Supernett. So ein Buch, das verschenkt man an die besten Freunde, an seine Eltern, an seine Frau, oder an … seine Hausmeisterin. Sie hat es sich irgendwie verdient. Unsere jahrelange Beziehung, all die vielen Höhen und Tiefen – Sie ist eine treue Begleiterin meines staubigen Alltags, und ohne sie hätte ich bedeutend weniger Spaß beim Treppenklettern im Hausflur.

Am Abend presse ich das Buch in ihren Briefkasten.

Die Tage vergehen. Einer. Noch einer. Und da ist die Woche plötzlich komplett, und wieder höre ich das satte Klatschen des Wischmopps im Hausflur. Ich gehe die Treppen hinab. Meine Hausmeisterin setzt ihre Brille auf, die wie üblich an ihrer klirrenden 70er-Jahre-Goldkette hängt.

“Und war es spannend?”, frage ich sie.

“Ja.” Dabei blickt sie mich an, als würden wir uns zum ersten Mal begegnen.

“Haben Ihnen die Figuren gefallen?”

“Ja.”

Ich bin fassungslos.  Das könnte der Beginn eines wundervollen Streitgesprächs sein, und nun versaut sie mir den Spaß. Irgendwie frech. “Und das Ende war auch in Ordnung?”  Komm schon, das kann dir doch nicht alles gefallen haben. Sei ehrlich. Fast möchte ich sie durchschütteln.

“Ja”, sagt sie mit gefestigter Stimme.

Was ist nur los mit ihr? Sicher haben die hohen Temperaturen ihre hausmeisterlichen Sinne ins Trudeln gebracht.

Sie lehnt den Wischmopp gegen die Wand und stemmt die Arme in die Hüften. “War ganz schön viel Sex drin.”  Sie beugt sich vor.  “Und ordentlich Gewalt.” Sie kommt noch ein Stückchen näher. “Aber das sage ich Ihnen: Ich möchte nicht in Ihren Kopf reingucken.” Sie tippt sich gegen die Stirn. Mehrmals sogar. “Da muss ja sonst was los sein, da oben bei Ihnen.” Sie wackelt mit ihren großen Zehen, die über den Rand ihrer Gesundheitsschuhe hervorlugen –  ganz so, als ob sie  meinem einstmals gesunden Geist bei seinem Sturz in den Irrsinn zum Abschied zuwinkt.

“Schön, dass es Ihnen gefallen hat.”

„Mmmm …“ Sie brummt wie ein übellauniger Bär, der aus dem Winterschlaf gerissen wird.  “Aber glauben Sie mal bloß nicht, dass Sie jetzt ’nen Freibrief haben und mir hier weiter mein Haus einsauen können. Klar? Keine Federn mehr.”

“Klar.”

Als ich im Erdgeschoss ankomme, höre ich zwischen dem Platschen des Wischmopps ihre verstreuten Wortfetzen durchs Haus hallen: “Federn … auf was für Ideen Leute kommen … was hier so wohnt … demnächst schmeißt der noch Knochen in den Hausflur … Nee … ein Dreck hier heute …”

Ich öffne die Haustür. Draußen scheint die Sonne. Die Weide auf der Straße wiegt sich sanft im Wind. Vögel zwitschern.  Knochen … blitzblanke Knochen. Gräulich schimmernd .  Herausgerissen aus einem menschlichen Körper. Verstreut im Hausflur.  Hm … klingt irgendwie … richtig gut …  daraus lässt sich doch was machen …

http://www.olivermenard.de