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DER FRAUENSAUGER IN DER STRASSENBAHN

M2

„Mann, hörst du mal auf, mich so dämlich anzuglotzen? Hey… hallo? Ja, ich mein dich…“

Die rothaarige Frau mit dem erschütternd kurzen Rock ist sauer.
Nicht so ein normales Sauer – mehr stinkesauer oder auch sauersauer.
Richtig sauer eben.
Die gut gefüllte Straßenbahn ruckelt Richtung Alexanderplatz und da, auf dem Sitz ihr gegenüber, hockt ein Mann im dunkelbraunen Anzug mit Goldrandbrille, so ein schüchterner Ingenieurstyp mit schmalen Lippen, der vorsichtig über seine Zeitung linst und starrt.
Er fixiert.
Er saugt die Bilder der fremden Frau in sich hinein.
Er kriegt nicht genug.
Kostet ja auch nichts. Nimmt man gerne mit.

„Ey, Typ, du willst mich nicht verstehen, oder was?“, die Rothaarige beugt sich provozierend nach vorne.

Ertappt und mit einem Anflug von Beschämung hebt das dürre Männlein die Zeitung ein Stück höher bis seine Augen hinter dem Papier verschwinden.
Und dann linst er schon wieder. Nur ein kleines Blickchen. Klitzeklein nur.

Die Rothaarige springt auf (ich bewundere ihren raspelkurz rasierten Nacken und die eintätowierte grüne Fee hinter ihrem rechten Ohr), haut im Vorbeigehen mit der flachen Hand auf die Zeitung des Männchens, zischelt ein boshaftes „Arschloch“ in seine Richtung und steigt an der nächsten Haltestelle aus.
Stille.
Die Gemeinschaft der Straßenbahn M2 schweigt betreten. Nur einer nicht. Der dicke Kerl mit dem Maleranzug und der schweren Lederjacke ein paar Sitze weiter erbarmt sich und erlöst uns.

„Mann, was bist´n du für´n Trottel. Ich hab auch geguckt, aber doch nicht so direkt. Voll frontal war das, was de da eben abgezogen hast. Hier, so, von der Seite kannste gucken… (er wirft verschlagene Seitenblicke um sich) … aber nicht so direkt. Kapierste?“

Der Mann im dunkelbraunen Anzug guckt ihn fassungslos an. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er etwas Bedeutsames sagen wollen. Dann aber doch nicht. Er zerknüllt stattdessen lieber seine Zeitung, presst sie in seine kleine Aktentasche und hechtet aus der noch wartenden Straßenbahn.

„Boah, was für´n Trottel“, kommt es laut aus dem Mund des Malers – und hier und da kassiert er ein fröhlich bejahendes Kopfnicken der anderen Fahrgäste.

Schön. Die M2 ist irgendwie meine ganz eigene Disneyland-Bimmelbahn. Immer was los hier. Als sich die Tram wieder ruckelnd in Bewegung setzt, sehe ich den Kerl im dunkelbraunen Anzug noch einmal. Er wartet, verborgen hinter einem Wartehäuschen, auf die nächste Bahn.

Was für ein Trottel.