Monatsarchiv: April 2013

DUELL IM SUPERMARKT

 

Duell„Sammeln Sie Treueherzen?“

„Sehe ich aus, wie jemand, der Treueherzen sammelt, die Rückseite bespeichelt und sie in ein Album klebt?“

Die dürre Kassiererin mit der feuerrot gefärbten Matte guckt mich prüfend an. Sie balanciert ihren Körper elegant auf dem knarrenden Drehstuhl und schiebt sich ein Stückchen näher an mich heran.

„Neeee, eigentlich nich. Aber vielleich interessiert se unsere Pfannenaktion?“

„Ich habe keinen Herd.“

Sie guckt mich ungläubig an.

„Ach neee, Sie sind mir ja eener…die Tiersammelbilder sind dann ooch nüscht für sie, wa?“

„Doch, die nehm ich, sogar sehr gerne.“

„Ach Quatsch, neee, wirklich?“

Ja, da starrt sie mich mit ihren aufgerissenen Monsterpupillen an – sie ahnt natürlich nichts von meinem großartigen Plan. Aus den Augenwinkeln habe ich längst die beiden Kinder beobachtet, die wie kleine Aasgeier von Kasse zu Kasse schwärmen, um die Tiersammelbildchen der Supermarkt-Kunden abzugreifen. Es ist die nackte Gier,  die sie in Hektik versetzt. Ganz artig und brav kreuzen sie die Arme hinter ihren Rücken und setzen für die Erwachsenen einen betont treu-lieben Blick auf. Es ist ein beschämend billiges Schauspiel. Aber es funktionert.

„Dürfen wir die Bilder haben, bitte, bitteeee…?“

Einen Moment später ziehen sie sich in eine Ecke zurück, fetzen die Packungen hämisch lachend auf und prüfen ihre Beute. Und schwupps, geht es weiter zur nächsten Kasse. Die gleiche Show noch mal. Immer wieder.

Die beiden Jungs sind vieleicht neun Jahre alt. Zwei  Prenzlauer Berg Rotzgören mit Designerschuhen und Hilfiger Pullis, die schon jetzt die komplexen Gesetze sozialer Erpressung durchschaut haben.

Und plötzlich stehen sie vor mir.

Das wird nicht leicht, Kinder. Gar nicht leicht.

„Können wir die Bilder da haben?“, der eine, etwas dicklichere der Beiden, fährt seinen speckigen Finger aus und zeigt auf die Bildchen. Ein „Bitte“ ist in seinem Vokabular plötzlich auch nicht mehr enthalten. Passt mir gar nicht.

„Die Bilder…“, der Neunjährige wiederholt seine Forderung und  klingt auf einmal  wie ein Pistolero  in einem Italo-Western.

Warum denn?“, frage ich.

Zwei irritierte Gesichter.

„Na, weil wir die doch sammeln…“, rhetorisch ein eher unterdurchschnittlicher Argumentationsversuch. Kommt bei mir nicht gut an.

„Die könnt ihr euch erarbeiten. Einfach so gibt es die nicht.“

Die beiden zuppeln an ihren teuren Pullis herum und blicken sich ratlos an.

Ich wedel mit dem Packen.

„Die Einkaufstüten zum Auto tragen. Sauber einräumen, und dann gibts die Bildchen.“

Die Kassiererin lacht laut.

„Jenau… nich immer hier rumbetteln. Ich muss ooch den janzen Tach hier buckeln und ick krich ooch nüscht umsonst.“

Die Kids sind genervt, zucken kurz mit den Schultern und akzeptieren den Deal.  Sie greifen nach meinen Tüten, da betritt SIE den Supermarkt. Es ist der Auftritt einer echten Prenzlauer Berg Mutti. Sie gleitet mit ihren doppelseitig gebunden Gesundheitsschuhen in den Supermarkt, unter ihrem Arm eine zusammengerollte Yogamatte. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man auch noch ein paar Karamellkekskrümel in ihren Mundwinkeln. Ganz sicher die Überbleibsel der mehrstündigen Nachmittags-Plausch-Arie mit gleichgesinnten Freundinnen. Sie ist fassungslos.

„Nein, also, nein. Das kommt gar nicht in Frage, dass meine Kinder hier Ihre Tüten tragen. Was fällt Ihnen denn ein?“

„Wieso? Wir haben einen Deal. Tierbildchen gegen Tüten schleppen. Was gibt es da nicht zu verstehen?“

Ihre fusseligen Haare wirken vor Empörung wie statisch aufgeladen.

„Na hören Sie mal.  In was für einer Welt leben Sie denn?“

„Na, in einer marktwirtschaftlich orientierten. Genau wie Sie, dachte ich…“

Sie reißt ihrem Sohn die Bilder aus der Hand und reicht sie mir mit ihren spinnenartigen Fingern. In der gleichen Sekunde bricht ein kleiner Staudamm in den Augen des Jungen. Tränen kullern. Dazu noch ein asymmetrisch wirkendes Schluchzen, unterbrochen nur durch das schnappartige Luftholen dazwischen. Er kann nicht fassen, was sich da vor seinen Augen abspielt. Das Gesicht seines Bruders steht ebenfalls vor einer ordentlichen Tränendurchflutung. Die Mutter sieht es. Sie sucht krampfhaft nach einer Lösung. Sie beugt sich über das Rollband zur Kassiererin.

„Verkaufen Sie mir ein paar von den Bildern?“

„Kann ich nich machen. Da müssen se erst hier einkaufen. Je mehr se kaufen, desto mehr Bildchen jibts ooch. Der Herr da hat ja für siebzich Euro eingekauft.“

Von hinten brüllt ein genervter Brillenträger.

„Mann, jetzt halten Sie doch nicht den ganzen Laden hier auf.

„Genau. Ganz genau“, ruft aufgeregt eine schmallippige Rentnerin vom Ende der Schlange.

Die Mutter guckt erst die Kassiererin wütend an. Dann mich. Ein weiterer Blick auf ihre heulenden Kinder.  Dann wieder zu mir, diesmal gepaart mit einem Zähnefletschen. In ihrem Kopf greifen wohl Millionen kleiner Zahnrädchen ineinander, auf der Suche nach einer Lösung.

Die ganze Szene erinnert in ihrer Dramatik an das brennende Römische Reich.

Irgendwie finde ich es ganz spannend.

Das kleine Mädchen an der Kasse nebenan fällt mir erst jetzt auf. Sie hat auch ein paar der Bildchen in der Hand. Sie traut sich aber nicht zu fragen. Obwohl sie es doch so gerne möchte. Sie guckt nur aus großen Augen umher und zuppelt schüchtern an ihren Zöpfen herum. Ich nehme meine Tüten, wandere in Richtung Ausgang und drücke ihr den Bilderpacken in die Hand. Sie kann es gar nicht fassen.

„Ohhhh… die sind für mich? Die kann ich alle behalten…??? Echt?“

„Klar.“

Von hinten brüllt die verkekste Prenzlberg-Mutter, „was soll das denn jetzt? Die trägt die Tüten doch auch nicht.“

„Verzeihung, in was für einer Welt leben Sie denn?“

Als ich den Supermarkt verlasse, blicke ich noch einmal über meine Schulter. Eine tobende Mutter. Zwei heulende Jungs. Genervte Supermarkt-Kunden. Ein glückliches Mädchen und eine Kassiererin, die mir breit lächelnd zunickt und dabei ihren erhobenen Daumen in meine Richtung schwenkt, als hätte ich ein Fußballmatch gewonnen.

Ich richte meinen Stetson, überprüfe den Sitz meiner Waffe im Holster und reite auf meinem treuen Gaul in die Abendsonne.

Lief doch ganz gut, der Tag.