„Da biste ja endlich… gut, dass du kommst… Mensch… gut, gut… ein Glück… komm, komm…“
Mein Videothekenmann ist ganz aufgeregt. So habe ich ihn nur einmal erlebt, als ihm jemand auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt die Hinterreifen geklaut hatte. Damals schwenkte er wütend einen Schraubenschlüssel über seinem Kopf. Heute sind seine Hände leer. Kein Werkzeug zu sehen.
„Was hast du denn? Wir sind doch gar nicht verabredet.“
„Ja, aber das is doch immer deine Zeit… jetzt quatsch nicht rum… komm… schnell“
Ich habe keine Ahnung, was meine Zeit ist. Aber offensichtlich habe ich Rituale, die nicht einmal mir selbst bekannt sind. G. zerrt mich in seine kleine Prenzlberg-Schmuddelvideothek , huscht hinter seinen Tresen, baut sich da auf und lächelt mich glücksselig an. Mirko der Maler steht mit seinem bunt beklecksten Anzug neben der Theke. Er schlürft Bier aus seiner Flasche und hebt sie mir zum Gruß entgegen. Die Videothek ist sowieso mehr wie ein Stammtisch. Kunden gibts hier selten.
G. blickt mich ernst an.
„Fällt dir was auf?“, er sagt es mit ungeheuerlichem Stolz in der Stimme.
„Ich weiß nicht… du siehst irgendwie anders aus… aber ich weiß nicht…“
„Besser?“
„Nur anders.“
„Aber auch besser. Richtig?“
„Na gut, vielleicht ein bisschen…“
Er schlägt lachend die Hände ineiander.
„Ich wusste doch dass das funktioniert… ich hab´s gewusst. Ich hab mir ´n kleines Podest hinter dem Tresen einbauen lassen. Das ist sieben Zentimeter hoch. Da wirke ich gleich anders, größer … ein bisschen beeindruckender, richtig? Bisschen mehr businessmäßig, oder?“
Ich laufe um die Theke herum. Er hat Recht. Er steht mit seinen kleinen Füßchen auf einem Holzplateau. Zum ersten Mal, seit wir uns kennen, blicken wir uns so richtig Aug in Aug an. Jetzt fällt mir auch sein frisches, weißes Hemd auf. Und dazu diese dunkelbraunen Mokassins mit Bömmelchen. Das macht mich misstrauisch.
„Was ist da los bei dir?“
Er läuft beschwingt über sein Holztreppchen.
„Tja, hat geklappt mit der Kleinen, neulich. Du weißt schon… „
„Ach, wirklich?“
Es überrascht mich wirklich. Ich hätte es G. nicht zugetraut. Aber ich erinnere mich an eine hübsche, sogar sehr hübsche, blonde Frau mit Kurzhaarschnitt, die er vor ein paar Tagen ausführlich über romantische Komödien aufgeklärt hat. Das ist gar nicht sein Ding. Üblicherweise hält er sich lieber in der Kettensägen-Abteilung auf, um sein unheimliches Videotheken-Fachwissen zu präsentieren. Nun strahlt mich ein völlig neuer G. an.
Nur für einen kurzen Moment wandert ein Schatten über sein Gesicht.
„Ich brauch da mal euren Rat. Wisst ihr… ich sag´s mal so… es ist gleich am ersten Abend passiert bei uns… also… so richtig… mit allem drum und dran, versteht ihr…?“
Ich nicke mechanisch. Der Maler auch.
„Eine Sache hat mich nur ´n bisschen irritiert… also… gleich danach… ihr wisst schon… da isse in meine Küche gelaufen, und dann hat sie sich so´n Fertiggericht in die Mikrowelle gehauen, und dann gleich wieder zurück mit der heißen Plastikschale ins Bett.“
„Und dann?“
Ich rechne mit einer außergewöhnlichen Wendung. Einem Phänomen. Einem modernen Wunder.
G. zuckt die schmalen Schultern
„Wie – und dann? Na, gegessen hat sie´s dann…“
Nun beugt sich Mirko der Maler ein Stück vor. Seine wässrig-blauen Augen sind empört und groß wie PingPong-Bälle.
„Wie, nich mal gekuschelt habt ihr danach … ?“
G. winkt ab.
„Darum geht ´s doch nicht. Jedenfalls war ich gerade im Supermarkt und hab mal für Nachschub gesorgt. Guckt mal hier… da haben wir… Kassler mit Sauerkraut. Lamm mit Kartöffelchen. Und dann noch das hier… was Asiatisches… welches soll ich nehmen, heut Abend? Jetzt sagt mal…“
„Stell ihr doch alle hin“, den beeindruckenden Mangel an Leidenschaft für das Thema versuche ich nicht einmal zu verbergen.
„Neeee, das wirkt doch voll inszeniert… neeee, neee… nur eins.“
„Dann nimm Kassler“, sagt Mirko.
„Ist das nicht zu normal?“, grübelt G.
„Na, dann bleibt dir doch nur das Asiatische“, sage ich mit sachlichem Unterton.
Mirko linst über meine Schulter.
„Aber die Verpackung vom Kassler ist hübscher.“
„Aber dann kann er doch gleich das Lamm nehmen. Da ist ein goldener Schriftzug drauf.“
G. schlägt sich die Hände vor den Kopf.
„Wenn man euch mal braucht. Nix läuft da. Gar nix… Kapiert ihr das denn nicht? Ich will einmal alles richtig machen…“
In dieser Sekunde blickt die Blonde in den Laden rein.
„Kommst du, wir wollten doch los.“
G. drückt hinter der Theke wie auf Knopfdruck sein Kreuz durch, dabei reißt er uns die Fertiggerichte aus den Händen. Er stopft sie in die blickdichte Plastiktüte, huscht durch den Laden (nun aber wieder sieben Zentimeter kleiner) und schiebt uns durch die Tür.
„Heute mach ich mal früher Schluss. Muss auch mal sein“, zwinkert er uns zu.
Dann läuft er mit der Blonden die Straße runter. Die Tüte schaukelt im Takt seiner sehr kurzen Schritte mit.
Wir bleiben auf dem Kopfsteinpflaster zurück. Mirko grübelt angestrengt.
„Meinst du, der versemmelt das?
„Kann schon sein.“
Er kratzt sich mit seinen farbverschmierten Fingern am Kopf.
„Also, ich hätt Kassler genommen.“
„Ich auch.“
Schon mal daran gedacht, ein Drehbuch zu schreiben? Es wäre mal Zeit für einen Film von absurden, normalen Menschen. WIe von G. mit seinen sieben Zentimetern und Fertigessen.
Ähem (gepaart mit einem Räuspern)… ich stehe dieser Branche, die du da anprichst durchaus sehr nahe…;-)
Oh! Ooh! Das freut mich sehr.
Könnte ich mir auch sehr gut vorstellen, ich habe heute beim Lesen wieder viel gelacht… das 7 cm hohe Podest ist wirklich ein Brüller!
LG Susanne
Ja, ihr lacht… aber ich gehe nachher wieder an dem Laden vorbei… mal sehen, wie die Stimmung ist – da drinnen.
ich hätte auch kassler genommen….
Ich werde es dem Maler ausrichten. Der wird sich freuen…;-)
mach mal, den bericht will ich lesen ^^
die story ist so pointiert. das ist großes kino in kleinen szenen. bin völig begeistert und werde nun folgen und lesen und folgen…Danke, Ménard.
Denk auch ans Essen, Schlafen und Essen…
Bitte, Herr Hendrik… jetzt ist es ja auch den Blog…
Die kleine Blonde haut sich Fertignahrung rein? Das kann nichts werden, ob mit oder ohne Podest…
Aber eines sage ich dir, Rodrigo, wenn die beiden heiraten, dann kochst du für die ganze Sippe. Deal? Strafe muss sein.
Kein Problem, Tiefkühlpizza für alle krieg ich hin…
Es würde ihnen vielleicht sogar schmecken. Welche denn eigentlich? Diavolo? Die mag ich auch gerne.
Was hat sie denn da für roten Abrieb im Gesicht??
Himmel!
Sag dem Lütten, er soll ihr morgen Äppel kaufen! 🙂
Was Frauen alles sehen. Erstaunlich.
Also, wenn er Kassler genommen hätte, wie sieht denn dann die Blonde aus? 🙂
Ach, aber bei Lamm wäre alles in Ordnung?
Hehe…
Offenbar… ebenfalls hehe…;-)
Toller Dialog … klasse Szene … Kann ich G. nur noch viel Glück wünschen und weiterhin so gute Laune! Egal ob Lamm, Kassler oder Asia …
Oh, wir haben hier schon Aufgaben für eine mögliche Hochzeit verteilt. Rodrigo Bustos Barros wird kochen. Du kannst Klavier spielen. Ich werfe den Reis. Jeder macht das, was er am besten kann… alles für G. und seine heiße Fertiggericht-Liebe…;-)))
…Geschichten, die das Leben schreibt♥
;)))))))
das ist das schönste bei dir alles scheint so real man hat das gefühl genau das schon oft erlebt zu haben
und dann steht mir der mund offen und ich denke hmmm ich kann das so nicht ausdrücken aber du hast es drauf!!!!!!!!!
Habe ich? Ich beherrsche keinen Stepptanz, kann nicht Gitarre spielen und mag kein Bier. Ein „Draufhaber“ müsste das eigentlich können…;-)
echt ohhh…. klar dann hast es wohl nicht drauf sorry hab mich vertan 😉